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Im Gedenken an Annette Kuhn

Paula Wald, 27. November 2020

Im Gedenken an Annette Kuhn, geboren am 22.5.1934, gestorben am 27.11.2019, Historikerin und Frauengeschichtsforscherin.

Annette Kuhn

1986 erhielt Annette Kuhn die erste Professur für historische Frauenforschung in Deutschland an der Universität Bonn. Dort entwickelte sie die Disziplin der Frauengeschichte, baute eine wissenschaftliche Bibliothek auf und setzte durch, dass ihr Lehrstuhl um das Gebiet Frauengeschichte erweitert wurde. Mit Valentine Rothe und anderen Herausgeberinnen gab Annette Kuhn neben ihrer Lehrtätigkeit u.a. eine umfassende didaktische Reihe, Quellenbände zu NS – und Nachkriegszeit sowie das Nachschlagewerk „Chronik der Frauen“ heraus. Als Historiker wie Joachim Fest zu Unrecht behaupteten, Frauen hätten Hitler an die Macht gebracht, fokussierte Kuhn zunächst auf die Opferrolle von Frauen im NS. Sie forderte damit heraus, dass sich Historikerinnen auch mit Täterinnenschaft befassen.

Nachfolgend ein Teil ihres Artikels „Die politische Kultur von Frauen – ein Mittel gegen Rechtsextremismus und Gewalt“, erschienen in: Engel, Menke (Hrsg.): Weibliche Lebenswelten – gewaltlos? Analysen und Praxisbeiträge für die Mädchen- und Frauenarbeit im Bereich Rechtsextremismus, Rassismus, Gewalt. Münster, 1995.

Frauen sind keineswegs von Natur aus friedfertig und gewaltfrei. Sie sind nicht durch ihre Geschlechtszugehörigkeit gegenüber dem Rechtsextremismus resistent. Ein Drittel der rechtsextremen Wählerschaft ist heute weiblich (Möller, 1992, S.33). Dabei spielen die rassistische Ideologie der deutschen Frau als Bewahrerin des reinen Deutschtums und die Irrlehre des deutschen Mannes als Beschützer der deutschen Frau vor der „Anmache“ durch fremde Männer eine wichtige Rolle bei der Ausübung und der öffentlichen Rechtfertigung rechtsextremer Gewalt. In dieser Sicht heißt historische Aufklärung in erster Linie, auf die historisch verbürgten Gefahren der traditionellen und der NS-Geschlechterideologie hinzuweisen und ihre Nähe zum Rechtsextremismus und Gewalt aufzudecken.

Der Umgang mit dem Feminismus und der Gesellschaftstheorie der Differenz der Geschlechter im historischen Kontext von Weimar bis heute zwingt aber zu einem komplexeren Vorgehen. Zur ideologiekritischen Sicht der Geschlechterideologie tritt die Rekonstruktion der Geschlechtergeschichte und -ideologie aus dem Lebens- und Arbeitszusammenhang der Frau selbst hinzu. Hier wird ein „Anderes“ und ein „Mehr“ sichtbar. Christine Roloff und Sigrid Metz-Göckel sprechen hier von „Potentialen“:

„Es gibt also etwas Überschüssiges, etwas, was im Bild der unterdrückten und der ,weiblich sozialisierten‘ Frau sowie in der Frauenpolitik als Gleichstellungspolitik nicht aufgeht.“ (Roloff/Metz-Göckel, 1993, S.273)

Der Feminismus hat als eine Theorie der Geschlechterdifferenz in der deutschen Geschichte seit 1918 in seiner Ambivalenz, in seiner extremen Destruktivität und in seinen konstruktiven Möglichkeiten deutliche Spuren hinterlassen. In der Weimarer Republik wurde vor allem die ambivalente Pluralität des Feminismus sichtbar. Während eine Politikerin wie Toni Sender sich von jeder Identifikation ihres politischen Engagements mit den „Frauenfragen“ distanzierte, suchte eine engagierte Feministin wie Alice Salomon die politische Verwirklichung der sozialen „Mütterlichkeit“ abseits von den politischen Parteien. Demgegenüber verstrickten sich Feministinnen wie Gertrud Bäumer in die preußische Tradition des Staatsfeminismus und leisteten der NS-Instrumentalisierung des Feminismus Vorschub. Dennoch konnte nicht von einer totalen Instrumentalisierung der deutschen Frauen in Übereinstimmung mit der NS-Frauen- und Geschlechterideologie gesprochen werden. Auch in NS-Deutschland gab es in der frauenpolitischen Praxis ein Anderes und ein Mehr, das im weiblichen Gegendiskurs der deutschen Nachkriegszeit seinen öffentlichen Ausdruck fand.

Der Feminismus nimmt in der historischen Sicht eine doppelte Gestalt an. Er zeigt sich sowohl in seinen Verstrickungen in patriarchale Gewaltstrukturen und männerdominierte, dualistische Denkmodelle als auch in seiner kulturpolitischen Differenz zur Männerpolitik, in seinem Anders und Mehr zur herrschenden öffentlichen, politischen Handlungsorientierung.Auf dieses Andere und Mehr will ich abschließend hinweisen.

In meiner historischen Betrachtung des Feminismus in Deutschland seit 1918 habe ich eine These von Jürgen Habermas umgekehrt. Habermas hat die Macht der herrschenden Symbolsysteme betont. Wer sich dem „System geordneter Zeichen“ nicht ein- und/oder unterordnet, wird ausgegrenzt. Diese Diskursregel wurde nach meiner Sicht der Frauendiskurse der Moderne immer wieder und mit Erfolg durchbrochen. Frauen führten einen „double-voiced discourse“ (Elaine Showalter); sie sprachen die Männersprache der „geordneten Zeichen“ und schufen zugleich zur eigenen Sinngebung und Orientierung neue Diskursregeln. Ihre Erfahrungen der Brüchigkeit, der Irrationalität, schließlich auch der Lügenhaftigkeit der männlichen Diskurssysteme ermöglichten die weiblichen Gegendiskurse von 1945, die auf älteren feministischen Traditionen aufbauten und die keineswegs in der gesellschaftlichen Restauration der 50er Jahre völlig untergingen. Auf diesem Hintergrund ist meine erste Eingangsfrage positiv beantwortbar: aus der frauengeschichtlichen Sicht kann von einer frauenpolitischen Kultur gesprochen werden, die der Selbstverwirklichung von Frauen und einer gesellschaftlichen Demokratisierung entgegenkommt. Schwieriger ist es, die zweite Frage positiv zu beantworten. In den weiblichen Gegendiskursen werden die „primitiven Wurzeln der Abstraktion“ (Susanne Langer) sichtbar. Frauen verweigern sich den männlichen Diskurslogiken. Die feministischen Vorstellungen von der Differenz, wie sie erstmalig bei Helene Lange, Gertrud Bäumer und anderen Frauen der bürgerlichen Frauenbewegung propagiert wurden, haben sich immer wieder in patriarchalen Gewaltzusammenhängen instrumentalisieren lassen. Dennoch lässt sich das Muster eines anderen politischen Verhaltens in der frauengeschichtlichen Sicht ausmachen. Carol Gilligan hat von der Strärke der moralischen Wahrnehmung von Frauen gesprochen. Sie „[…] liegt in ihrer Verweigerung von Gleichgültigkeit und Entpersönlichung, in ihrem Beharren darauf, Verbindungen herzustellen, die es möglich machen, einen im Krieg getöteten Menschen oder jemanden, der in Armut lebt, als eines Menschen Sohn, Vater, Bruder der Schwester, Mutter, Tochter, oder Freund wahrzunehmen […].“ (Gilligan, 1984)

Diese weibliche Moralität läßt sich in einem historischen Kontext als Verhaltensmuster mit friedenssichernden politischen Folgen nachweisen. Seit 1918 wurde sie immer wieder in eine Politik umgesetzt, die sich als eine Politik des Abbaus der strukturellen und personalen Gewalt in der Gesellschaft qualifizieren läßt. Zu dieser Moralität gehört die Anerkennung der Differenz der Geschlechter als konstitutiv für die Verwirklichung der sozialen Gleichheit unter den Geschlechtern und unter den Menschen anderer Herkünfte und Weltanschauungen. Feminismus ist in dieser Sicht ein Mittel gegen Rechtsradikalismus und Gewalt.

Quellen und Tipps zum Weiterlesen

Kuhn, Annette. Die politische Kultur von Frauen – ein Mittel gegen Rechtsextremismus und Gewalt, in: Engel, Menke (Hrsg.). Weibliche Lebenswelten – gewaltlos? Analysen und Praxisbeiträge für die Mädchen- und Frauenarbeit im Bereich Rechtsextremismus, Rassismus, GewaltMünster, 1995.