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Popkultur

Geschlechterrepräsentation in Star Trek: Feminismus in Warp-Geschwindigkeit?

Jonas Steidle, 20. Oktober 2021

Die Science Fiction-Serie Star Trek: The Original Series (TOS) ist nicht nur sehr beliebt, sondern gilt auch als fortschrittlich und visionär. Doch ist sie das auch in Bezug auf Geschlechterrollen und -verhältnisse? Für die von 1966–1969 entstandene Originalserie lässt sich das nicht behaupten. Aber reicht das patriarchale Erbe auch noch in die in den 1990er Jahren erschienene Star Trek-Serie Voyager – mit dem ersten weiblichen Captain als Hauptfigur? Wie hat sich also das Science Fiction-Franchise innerhalb von drei Jahrzehnten im Bereich Geschlechterrepräsentation weiterentwickelt? Und wie steht es um die Wechselwirkung des popkulturellen Phänomens mit der (US-amerikanischen) Gesellschaft?

Die Anfänge: Star Trek: The Original Series (Raumschiff Enterprise)

Bei ihrer Erstausstrahlung im Jahr 1966 versprach die Science Fiction-Serie Star Trek „to boldly go where no man has gone before“ (in der deutschen Übersetzung: in Galaxien vorzudringen, „die nie ein Mensch zuvor gesehen hat“ ). Und tatsächlich wurde sie ihrem Anspruch nicht nur in den erzählten Geschichten über außerirdisches Leben, neue Welten und unbekannte Zivilisationen gerecht; sie war auch bezüglich gesellschaftlicher und politischer Aspekte innovativ. Dies wurde durch die utopische Grundidee der Serie ermöglicht – es sollte die bestmögliche Entwicklung dargestellt werden, die die Menschheit innerhalb von 300 Jahren zu durchlaufen in der Lage wäre. Demzufolge gleicht die Erde in der von Star Trek gezeichneten Zukunftsvision – die Originalserie (TOS) spielt in den Jahren 2265-69 – einem Paradies: Kriege, Armut und Hunger gehören der Vergangenheit an, die Menschen haben zu einem friedlichen Miteinander gefunden. So ist nicht nur der technologische, sondern auch der moralische Fortschritt der Menschen im Star Trek-Universum beachtlich. Schon die Zusammensetzung des Teams der Brückenoffiziere auf der U.S.S. Enterprise, dem legendären Raumschiff der Originalserie, soll diesen Fortschritt widerspiegeln: Zwar sind sowohl der Captain James T. Kirk als auch der Schiffsarzt Leonard McCoy sowie der Chefingenieur Montgomery Scott weiße Männer aus dem anglo-amerikanischen Kulturkreis. Doch wird nichtsdestotrotz eine für die 1960er Jahre unübliche Vielfalt und v.a. die Möglichkeit von Kooperation über alle scheinbar trennenden Unterschiede hinweg dargestellt. Diesem Zweck dient die Besetzung des als russisch zu lesenden Sicherheitschef Pavel Chekov (ab Staffel 2), des vom japano-amerikanischen Schauspieler George Takei verkörperten Steuermann Hikaru Sulu, der Schwarzen Kommunikationsoffizierin Nyota Uhura sowie des ikonischen Vulkaniers und Ersten Offiziers Spock.

Die „Freud’sche Formel“ nach Mary Jo Deegan

Die US-amerikanische Soziologin Mary Jo Deegan allerdings attestiert Star Trek: TOS in ihrem 1986 erschienenen Aufsatz „Sexism in Space: The Freudian Formula in ‚Star Trek‘ “ trotz einiger fortschrittlicher Statements und Figuren über die gesamte Serie hinweg eine sexistische Erzählstruktur. Zur genaueren Bestimmung greift sie auf drei Kategorien zurück, die sie aus Sigmund Freuds Psychoanalyse ableitet und die sie zusammengenommen als „Freud’sche Formel“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um drei menschliche Instinkte – Sex, Aggression, Überlebenskampf –, die laut Freud geschlechtsspezifisch unterschiedlich ausgelebt werden. Demzufolge ist die physische Überlegenheit der Männer der Grund für deren stärker ausgeprägtes Streben nach gesellschaftlichen Machtpositionen. Im Anschluss daran teilt sich nach der „Freud’schen Formel“ die Welt in eine männlich und eine weiblich dominierte Sphäre. Erstere basiert auf den Regeln der Vernunft, begründet und erhält die gesellschaftliche Ordnung; etwa in den Bereichen des Militärs, der Wirtschaft oder der Politik. Letztere Sphäre wird von Emotionen regiert und umfasst die Beziehungen in Heim und Familie. Verbunden sind die beiden Sphären durch die Liebe, allerdings ist die weibliche in ihrem Streben nach Wissen, materiellen und emotionalen Ressourcen sowie Macht abhängig von der männlichen. Daher ist Sex für Frauen eine materielle und emotionale Verbindung, die ihnen Sicherheit verspricht. Für Männer hingegen steht der physische, animalische Instinkt im Mittelpunkt, der sie anfällig dafür macht, sich hin und wieder der sexuellen Anziehung von Frauen zu „unterwerfen“. Diese spezifische „Macht“ der Frauen ermöglicht es ihnen somit, sich Zugang zu gesellschaftlichen Machtpositionen zu verschaffen – die Vermittlung ihrer Welt über Männer bringt sie dazu, diese Macht zu nutzen.

Kritische Zwischenfrage: Feministische Analyse mit Freud?

Warum sind die Freud’schen Kategorien nun für Deegan ein geeignetes Mittel, um die sexistischen Strukturen in Star Trek zu analysieren? Schlagen sich in Freuds Theoremen nicht eben jene gesellschaftlichen Normen nieder, die aus feministischer Perspektive eigentlich dekonstruiert und überwunden werden sollen? Genau das ist der Punkt, schreibt Deegan: Freud legt offen, was ansonsten in den Klischees, Vorurteilen und tradierten „Wahrheiten“ über das Geschlechterverhältnis unausgesprochen enthalten ist und aus diesem Schattendasein heraus die Gesellschaft prägt. Insofern Freud eine patriarchale Gesellschaft und ihre Funktionsweisen und damit sozial konstruierte Zustände beschreibt, ist seine Theorie für eine feministische Analyse interessant. Denn im Wissen um die Funktionslogik der patriarchalen Gesellschaft können kulturelle Produkte daraufhin überprüft werden, ob sie den gesellschaftlichen status quo reproduzieren oder hinterfragen.

Romantik, Ödipus, Armageddon – kulturelle Mythen in TOS

Mary Jo Deegan macht den psychoanalytischen Ansatz nun für die Analyse popkultureller Erzeugnisse fruchtbar, indem sie Variationen der „Freud’schen Formel“ in Abhängigkeit von den oben genannten Instinkten identifiziert. Diese Variationen prägen ihr zufolge die Dramaturgie jeder Episode in Star Trek: TOS. Sie entsprechen kulturellen Mythen, die ohnehin immer wieder in verschiedenen Erzählungen gefunden werden können: der Romantik-Mythos, der ödipale Mythos und der Armageddon-Mythos.

Beim ersten handelt es sich um die Geschichte einer Frau, die eine romantische Beziehung zu einem der Hauptcharaktere der Enterprise-Besatzung anstrebt. Diesem Wunsch kann allerdings nicht entsprochen werden, weil der entsprechende Mann (im Fall von Star Trek) seiner Mission, seinem Schiff und dessen Crew verpflichtet ist.

Der ödipale Mythos erzählt von dem Verlangen von Männern, andere Männer zu dominieren und dem sich daraus entspinnenden Machtkampf. Frauen werden hierbei nicht als gleichwertige Gegnerinnen angesehen.

Der Armageddon-Mythos handelt von einem Kampf auf Leben und Tod zwischen einem asexuellen Lebewesen (in TOS oft außerirdische oder künstliche Lebensformen) und den männlichen Protagonisten, von deren Erfolg oder Scheitern das Schicksal der ihnen Anvertrauten oder gar der ganzen Welt abhängt.

Umsetzung der Struktur in Figuren und Handlung

Innerhalb dieser patriarchalen Erzählstruktur, die sich abwechselnd aus diesen drei Mythen zusammensetzt, können Frauen also lediglich passive oder negativ dargestellte Rollen besetzen. Sowohl „typisch männliche“ als auch „typisch weibliche“ Charakterzüge, wie sie in der Freud’schen Weltsicht existieren, werden in ST:TOS vom tonangebenden Dreigestirn verkörpert: Spock repräsentiert Vernunft und Logik, Dr. McCoy Emotionalität und das irrationale Moment menschlichen Handelns. Zusammen beraten sie den Captain, wobei Kirk trotz seines stark maskulinen Auftretens eine ausbalancierte Geisteshaltung an den Tag legt.

Insgesamt wird in der Originalserie trotz ihrer fortschrittlichen Aspekte ein stark patriarchal geprägtes Frauenbild transportiert. Die Kontrolle von Männern über Frauen wird durch die Dramaturgie der Folgen legitimiert: Es werden Geschichten erzählt, die aufgrund männlicher Figuren, die nach ihren Instinkten handeln, dabei aber letztlich nie ihre „männliche“ Fähigkeit zu vernunftbasiertem Handeln verlieren, zu Erfolgsgeschichten werden können. Frauen sind in der Serie meist nicht in der Lage, diesen Erfolg herzustellen; sie gefährden ihn oft sogar absichtlich oder unabsichtlich.

Für eine Serie mit hohem moralischem Anspruch erweist sich dieses in der narrativen Struktur angelegte Sexismus-Problem als wunder Punkt. Deshalb stellt sich die dringende Frage: Konnte Star Trek das Erbe der Originalserie im Lauf der Jahrzehnte hinter sich lassen? Um einer Antwort näher zu kommen, kann man einen Blick auf die 1995–2001 ausgestrahlte vierte Serie des Franchises werfen: Star Trek: Voyager (ST:VOY).

Alles anders? Geschlechterrepräsentation in Star Trek: Voyager

Die Crew des brandneuen Forschungsschiffes U.S.S. Voyager strandet 70 000 Lichtjahre entfernt von der Erde in einem anderen Quadranten der Galaxie. Die Mannschaft zerstört die einzigartig konstruierte Raumstation, mit deren Hilfe sie dorthin gebracht wurde, damit sie nach dem Tod ihres Erbauers nicht missbraucht werden kann. Fernab von der Erde und außerhalb des institutionellen Rahmens der Sternenflotte und der Föderation entscheidet die Voyager-Crew sich dazu, den Wertekatalog, dem sie verpflichtet ist, trotz widrigster Umstände nicht zu suspendieren.

Schon auf den ersten Blick unterscheiden sich die Zustände auf der Voyager deutlich von denen auf der 100 Jahre früher eingesetzten Enterprise: Nicht nur „der“ Captain, Kathryn Janeway, ist eine Frau. Auch der Maschinenraum als ehemals eindeutig männliche Domäne ist hier das Reich der Halb-Klingonin B’Ellana Torres. Die konnte sich aufgrund ihrer ausgezeichneten (ingenieurs-)wissenschaftlichen Kenntnisse und ihrer Problemlösungskompetenz sogar ohne abgeschlossene Ausbildung an der Sternenflotten-Akademie gegen ihren männlichen Mitbewerber um den Posten des Chefingenieurs durchsetzen. Später in der Serie treten auch noch zwei weibliche Charaktere hinzu: die „Borg-Königin“ als Personifizierung der ultimativen Bedrohung für die Föderation und damit Janeways Antagonistin sowie die über vier Staffeln in ihrem einzigartigen Eman¬zipa¬tions-prozess begleitete ehemalige Borg-Drohne Seven of Nine (kurz: Seven). Beide füllen selbstbewusst den Platz aus, der ihnen in den Drehbüchern eingeräumt wird.

Die Überwindung der sexistischen Struktur durch differenzierte Charaktere

Die Repräsentation „typisch“ weiblicher und männlicher Rollen, die in TOS durch Spock, McCoy und Kirk verkörpert wird, wird in VOY durch den stärkeren Ensemble-Charakter der Serie entzerrt. Obwohl der Vulkanier Tuvok, Zweiter Offizier an Bord, ebenfalls unumschränkt der Ideologie der Logik folgt, wirkt er nicht so unfehlbar wie Spock. Seine pure Logik wird nicht allein durch einen ihm übergeordneten Mann herausgefordert, sondern durch etliche Charaktere in verschiedenen Situationen: immer wieder durch den außerirdischen Schiffskoch Neelix, aber auch durch Tuvoks langjährige Freundin und Vorgesetzte Janeway.

Fürsorgliche und emotionale – und dadurch nach Freud’scher Lesart eher weibliche – Rollen erfüllen Neelix sowie seine Gefährtin Kes. Doch neben der Tatsache, dass beide auch eine Emanzipationsgeschichte durchleben, wird ihre Perspektive nicht wie oft in TOS aus männlicher Perspektive herablassend-wohlwollend belächelt, sondern ernst genommen und wertgeschätzt.

Zusätzlich kann man in vielen Figuren Mischungen „typisch“ männlicher und weiblicher Züge identifizieren: Captain Janeway ist sowohl führungsstark, entschlossen und kompromisslos in ihrem Anspruch auf Gehorsam und Loyalität. Gleichzeitig pflegt sie jedoch einen Führungsstil, der auf der Vielfältigkeit und teilweisen Unvereinbarkeit von Meinungen, auf aktivem Zuhören und der Bereitschaft, die eigene Position zu reflektieren, beruht. Sie ahmt weder männliche Rollenbilder nach, noch tappt sie – zumindest über die gesamte Serie hinweg betrachtet – in die Falle, die perfekte weibliche Führungskraft abbilden zu wollen.

Der Erste Offizier Chakotay, der eine starke spirituelle Seite besitzt, prägt ein Männlichkeitsbild, das sich in der „Stärke-Dimension“ weniger durch Aggressivität, sondern mehr durch Entschiedenheit auszeichnet. Er hat außerdem stets ein offenes Ohr für professionelle wie persönliche Anliegen der Crewmitglieder, versucht dabei aber den Eindruck zu vermeiden, den Ratsuchenden aus einer überlegenen Position heraus Antworten diktieren zu wollen. In seiner bedingungslosen Unterstützung für Janeway, der er den „Rücken freizuhalten“ versucht, auch indem er einen guten Teil der emotionalen Arbeit an Bord übernimmt, stellt er ein gutes Beispiel für male allyship (ein Begriff für Verhaltensweisen von Männern, die feministische Anliegen unterstützen) dar.

Auch die Chefingenieurin Torres ist ein gutes Beispiel für die Reflexion traditioneller Rollenmuster. Sie besticht nicht nur mit herausragender Leistung in einer „Männerdomäne“; sie ist geradezu die personifizierte Antwort auf das beliebte „Lächle doch mal!“ Doch so selbstbewusst und durchsetzungsstark die Halbklingonin mit dem leichten Jähzorn-Problem auch ist: Sie schreckt am Ende nicht davor zurück, sich mit ihren eigenen Schwächen auseinanderzusetzen, seien es ihr Identitätskonflikt, soziale Unzulänglichkeiten oder gar psychische Probleme.

Der holografische Doktor, der den Posten des Medizinischen Offiziers auf der Voyager übernimmt, ist zunächst ein arroganter, sich viel auf seine wissenschaftliche Rationalität einbildender Arzt, der v.a. durch seinen wenig empathischen Umgang mit seinen Patient:innen auffällt. Im Laufe der Serie wird er allerdings häufig in seinem egozentrischen Weltbild hinterfragt und seine Verletzlichkeiten offenbart, v.a. durch die Beziehungen zu Kes, die bei ihm eine Quasi-Ausbildung macht, und Seven, deren Schwierigkeiten, sich in die Crew zu integrieren, er nachvollziehen zu können meint.

Auch die schon angesprochene Königin der Borg, die eine stark expansive Kultur nach „Perfektion“ strebender Cyborgs anführt, passt in diese Betrachtung. Sie ist nicht nur eine intelligente Frau mit außerordentlicher Macht und überlegenem Wissen; durch ihre Rolle als Personifizierung und Anführerin eines Kollektivs mit extremem Technologiebezug trägt sie vielmehr zur Dekonstruktion der gängigen Unterscheidung von Natur als weiblich und Technologie als männlich bei.

Ambivalenz und ein Perspektivwechsel

Insgesamt handelt es sich also um ambivalentere Charaktere, die Brüche aufweisen und nicht so stereotyp wirken wie noch in TOS. Durch das Aufbrechen von Rollenklischees und traditionellen Mustern im Geschlechterverhältnis wird die Erzählstruktur, die an den drei Mythen ausgerichtet ist, neu interpretiert und verliert ihre Stabilisierungsfunktion für das Patriarchat.

Janeway entscheidet sich zwar auch aktiv gegen romantische Beziehungen, weil sie ihrer Pflicht gegenüber der Voyager und ihrer Crew nachkommen möchte – sie ist hierbei allerdings als Frau die aktiv Handelnde und Entscheidende und nicht diejenige, die nur nach einer Vermittlung sucht, um Zugriff auf die von Männern gehüteten (Macht-)Ressourcen zu erhalten. Janeway bekämpft zwar auch Widersacher, die ihre Kontrolle über das Schiff infrage stellen – doch allein durch die Konstellation der Figuren in diesem Kampf ist dieser schon kein männlich-ödipaler mehr, der das unmittelbare Machtstreben ausschließlich in die männliche Sphäre einordnet und Frauen zu Passivität oder Hinterlist zwingt.

In der Auseinandersetzung mit der ehemaligen Schiffskameradin Seska zeigt sich der Perspektivwechsel: Seska verrät die Crew und schließt sich einer feindlich gesinnten Spezies an. Dort beginnt sie eine Liebesbeziehung mit deren Anführer, um durch ihn und seine Ressourcen die Kontrolle über die Voyager zu erlangen – so weit, so 1966. Am Ende wird Seska jedoch besiegt durch die Schiffsmannschaft unter Janeways Kommando; das Abbild der Gesellschaft der Gleichen, in denen emanzipierte Frauen ohne Vermittlung durch Männer ihre Ziele erreichen können. Die Flucht in den – außerdem als streng hierarchisch und sehr misogyn dargestellten – Schoß des Patriarchats, die Seska unternimmt, wird als unterlegen präsentiert. Die Aussage: Bei uns kannst du als kluge, ambitionierte Frau vieles erreichen und vor allem kannst du deine Lebensentscheidungen frei treffen – wenn du dich für die Rückkehr ins Patriarchat entscheidest, verlierst du nicht nur deine Freiheit, sondern hast auch langfristig keinen Erfolg.

Es lässt sich also festhalten: Selbst wenn ST:VOY nicht allzu stark von der mythologischen Erzählstruktur abweicht, die Deegan für TOS diagnostiziert hat, verändern die diversere Besetzung und die Ausgestaltung der Charaktere die Wirkung dieser Struktur. Was vorher eine Stützfunktion für patriarchale Hierarchien erfüllt hätte, wie z.B. Seskas Verrat, unterstützt nun die Demonstration der Vorteile weiblicher Emanzipation. Wo Frauen damals nur Beobachterinnen von Auseinandersetzungen waren, in deren Zuge sie auf ihre Plätze verwiesen wurden, sind sie nun Hauptfiguren, die über ihr eigenes und das Schicksal von anderen bestimmen wie ehemals nur männliche Charaktere. Wo weibliche Rollen und Romantik für die Handlung nur über einen funktionalen Zusammenhang verknüpft wurden – Frauen wollen Macht (=Männer) durch Liebe –, werden Frauen nun als handelnde Subjekte dargestellt, die frei von patriarchalen Zwängen zwischen ihren romantischen Gefühlen und ihrem Pflichtbewusstsein abwägen.

Die Wechselwirkung von Star Trek mit der US-amerikanischen Gesellschaft

Die Macher:innen – und hierbei sollte die wichtige Rolle von Jeri Taylor im Produktionsprozess nicht verschwiegen werden – von Star Trek: Voyager sind also mit der Zeit gegangen. Aber strahlt diese Veränderung ihrerseits wieder auf die Gesellschaft zurück? Hier sollte man die Wirkung von Popkultur nicht unterschätzen – und gerade Star Trek kann man vermutlich einen bedeutenden Einfluss insbesondere auf die US-amerikanische Gesellschaft unterstellen. Durch die inzwischen zum Kult gewordenen Dokumentation „Trekkies“, in der Fans des Science Fiction-Franchises begleitet werden, gewinnt man einen guten ersten Eindruck davon, welch prägende Wirkung Star Trek entfalten kann. Man erfährt bspw. von Barbara Adams, die landesweit damit bekannt wurde, dass sie in Star Trek-Uniform als Mitglied der Jury eines Gerichts erschien und dafür von ihrer Pflicht als Geschworene zu dienen entbunden wurde. Ihre Begründung für die seltsam anmutende Aktion: Als leitendes Mitglied eines ST-Fanclubs, der sich als soziale Organisation versteht und die in den USA so wichtige örtliche community mit verschiedensten ehrenamtlichen Tätigkeiten unterstützt, bildet die Uniform ihr Wertefundament ab – wozu natürlich auch die für die Berufung als Geschworene unentbehrliche Wahrhaftigkeit gehört.

Zufällig ausgewählte Befragte auf einer convention berichten, dass sie sich als Lehrerinnen inspiriert gefühlt haben von der in Star Trek präsentierten Welt der unbegrenzten Möglichkeiten für alle. Insbesondere dieser Vorbildcharakter ist in der DNA der Serie verankert. Martin Luther King überzeugte Nichelle Nichols, die Darstellerin von Lieutenant Uhura in der Originalserie, davon, eine dritte Staffel zu drehen, weil er es dermaßen wichtig fand, dass sie als Schwarze Schauspielerin eine so positive Rolle besetzen konnte, die sie als gleichberechtige Mannschaftskameradin auf der Enterprise-Brücke zeigte. Und die von King (und Gene Roddenberry) intendierte Wirkung trug Früchte: Die ebenfalls berühmte US-Schauspielerin Whoopi Goldberg gab an, von Nichols in ihrer Rolle als Uhura tatsächlich so inspiriert gewesen zu sein, dass sie an das Gelingen einer eigenen Karriere glaubte. Aus diesem Grund wollte sie dann später in Star Trek: The Next Generation selbst eine Rolle und bekam mit der mysteriösen und weisen Gastgeberin der Schiffsbar 10 Forward, Guinan, eine auf den Leib geschneidert. Auch die erste Afroamerikanerin im All, die Astronautin und Ärztin Mae Jemison, führt ihren Glauben an den eigenen Erfolg unter anderem auf die Vorbildfunktion von Star Trek zurück.

Ein sehr aktuelles Beispiel für den Einfluss der Serie auf die reale Welt ist der Name des US-amerikanischen Covid19-Impfprogramms „Operation Warp Speed“, der darauf zurückgeht, dass Dr. Peter Marks, der Kopf hinter dem ambitionierten Programm, ST-Fan ist . Ohne Zweifel ist jedenfalls, dass ST:VOY – und besonders Kate Mulgrews Rolle als Kathryn Janeway – die Darstellung weiblicher Charaktere in der Welt der (Science Fiction-) Filme und Serien bedeutend beeinflusst hat. Dazu sei die Folge „S1: Voyager’s Impact on Women’s Roles“ des Podcasts „Women at Warp“ empfohlen (ein Link dazu findet sich in den Quellenangaben).

Quellen

Deegan, Mary Jo. 1986. Sexism in Space: The Freudian Formula in ʻStar Trekʼ. In: Donald Palumbo (Hrsg.). Eros in the Mind’s Eye: Sexuality and the Fantastic in Art and Film. New York: Greenwood Press.

La Franiere, Sharon et al. 2020. Scientists Worry About Political Influence Over Coronavirus Vaccine Project. New York Times, 02.08.2020.

Mae Jemison: 30 Seconds on When An Astronaut Visits Star Trek. 2014. Youtube, 29.07.2014.

Nichelle Nichols on how Dr. MLK, Jr. dissuaded her from quitting Star Trek. 2013. Youtube, 08.01.2013.

Edwards, Lydia. How to Read a Dress. A Guide to Changing Fashion from the 16th to the 20th Century. London u.a.: Bloomsbury Visual Arts, 2018.

Women at Warp – A Roddenberry Star Trek Podcast - Episode S1: Voyager’s Impact on Women’s Roles – STLV. 2015. womenatwarp.com.

Women at Warp – A Roddenberry Star Trek Podcast - Episode 35: Best Male Allies. 2016. womenatwarp.com.

Women at Warp – A Roddenberry Star Trek Podcast - Episode 51: Set a Course for Home. 2017. womenatwarp.com.

Women at Warp – A Roddenberry Star Trek Podcast - Episode 130: The Fantastic Voyager, 25 Years Later. 2020. womenatwarp.com. 23.08.2015.

Women at Warp – A Roddenberry Star Trek Podcast - Episode 132: The Baddest Women in the Universe, Part III. 2020. womenatwarp.com. 23.08.2015.

Snierson, Dan. Trekkies in the jury. Entertainment Weekly. 29.03.1996.

Weiterführendes

Memory Alpha (Star Trek online encyclopedia). Link zur Webseite von Memory Alpha

Dannenberg, Sophie. 2019. Leid durch Freud. Cicero, 24. Juli 2019 .

Day, Dwayne. o.J. Star Trek as a Cultural Phenomenon. U. S. Centennial of Flight Commision.

Hodge, Jarrah. 2019. Book Review: Star Trek: A Cultural History. womenatwarp.com, 20. Januar 2019.

Klimek, Chris. 2016. ‘Star Trek’ at 50: How the Sci-Fi TV Show Changed Everything. Rolling Stone, 8. September 2016.

Kohlross, Christian. 2019. Die Austreibung der Psyche aus der Psychologie. Cicero, 5. August 2019 .

Seifert, Edith. Und sie lohnt sich doch. Der Freitag, 2019.

Voos, Dunja. 2019. Cicero: „Leid durch Freud“ – so viel Nebel. Medizin im Text, 15.08.2019.

Wirth, Hans-Jürgen. 2019. Psychoanalyse ist besser als ihr Ruf. Cicero, 14. August 2019 .

Empfohlene Zitierweise

Jonas Steidle (2021): Geschlechterrepräsentation in Star Trek: Feminismus in Warp-Geschwindigkeit?, in: Haus der FrauenGeschichte (HdFG), Bonn.

URL:
                                https://www.hdfg.de/blog/2021/blog/2021/10/geschlechterrepräsentation-in-star-trek