Widerstand von Frauen gegen den Nationalsozialismus in Europa
„Ich bin Sophie Scholl“ – Kaum ein Social-Media-Projekt hat so viel Aufmerksamkeit und Kritik vonseiten der Geschichtswissenschaft erfahren wie das von SWR und BR initiierte Instagram-Projekt zum 100jährigen Geburtstag der Widerstandskämpferin Sophie Scholl in den Jahren 2021/2022. Die Diskussion drehte sich um Fragen wie: Was sind historische Tatsachen und was ist Fiktionalität? Was will das Projekt vermitteln? Was erfährt man über Sophie Scholl und wie passt das zu den historischen Fakten? Und schließlich, sind Instagram-Stories ein geeignetes Format für das historische Lernen über den Nationalsozialismus?
Obwohl das Projekt mit seinen 770.000 Followern sicherlich als erfolgreich bezeichnet werden kann, konnten Jugendliche kaum erreicht werden. Daher stellen sich für die Vermittlungsarbeit bei Kindern und Jugendlichen ebenso wie bei Erwachsenen die Fragen: Wie können Personen und Gruppen, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben, angemessen vermittelt werden? Warum ist es wichtig, diese Themen in der heutigen Zeit zu behandeln und welche Relevanz haben sie für die historische Bildungsarbeit?
Gibt es einen typisch weiblichen Widerstand?
Auch heute gibt es in unterschiedlichen Räumen und Kulturen Widerstand von Frauen gegen Gewaltherrschaft, Weißrussland oder der Iran sind nur die in den Medien prominentesten Bespiele. Und immer wieder wird die Frage diskutiert, warum und ob Frauen eine andere Art von Widerstand leisten, ob es also einen typisch weiblichen Widerstand gibt? Unterscheiden sich die Motive der Frauen möglicherweise von denjenigen der Männer?
Das Engagement von Frauen gegen die NS-Herrschaft in Deutschland sowie in den während des Zweiten Weltkrieges besetzten Gebieten gehört sicherlich zu den besterforschten Themen über Frauen im Widerstand, auch wenn Expert:innen nicht müde werden, auf die vielen Forschungslücken hinzuweisen. Die Geschichtswissenschaft hat in über sieben Jahrzehnten der Forschung herausgestellt, dass es jenseits der exponierten Persönlichkeiten wie Sophie Scholl einen wesentlich größeren und vor allem sehr heterogenen Beitrag von Frauen zu Bemühungen gab, zunächst den Aufstieg des Nationalsozialismus zu verhindern und danach dessen Herrschaft zu überwinden oder doch zumindest zu schwächen. Und dennoch ist in Deutschland kaum eine andere Widerstandskämpferin im öffentlichen Bewusstsein präsent, was nicht wenige Medien immer wieder dazu verleitet, Geschichten über andere Frauen oder Gruppen im Widerstand mit „Im Schatten Sophie Scholls“ zu überschreiben.
Deutsch-französisches EU-Projekt zu weiblichem Widerstand gegen den Nationalsozialismus
In unserem von der EU geförderten Projekt Weiblicher Widerstand gegen den Nationalsozialismus in Deutschland und Frankreich wählen wir eine vergleichende Perspektive und befassen uns zum einen mit den unterschiedlichen Formen des weiblichen Widerstands gegen den Nationalsozialismus. Zum anderen nehmen wir die Erinnerungskulturen in Deutschland und Frankreich in den Blick. Das Ziel des Projektes ist es, eine Ausstellung zu diesem Thema zu erarbeiten sowie geeignete Formate und didaktische Materialien zu entwickeln.
Tagungsprojekt – Austausch mit internationalen Expert:innen
Auf einer internationalen Tagung, die vom 27. bis 29. September im Centre Ernst Robert Curtius in Bonn stattfinden wird, wollen wir deshalb die bisherigen Forschungserkenntnisse auch jenseits der bekannten Gesichter des weiblichen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus diskutieren und Perspektiven für künftige Forschungsfragen aufgezeigen. Die Definition von „Widerstand“ halten wir dabei bewusst offen, um ein möglichst breites Spektrum abzudecken und uns der Frage nach den möglichen Spezifika eines „weiblichen“ Widerstands zu nähern.
Für den Austausch mit internationalen Expert:innen zu aktuellen Forschungen, Vermittlungsformaten und Debatten im internationalen Vergleich haben wir die Tagung in fünf Sektionen gegliedert.
Sektion 1: Erinnerung
Entgegen der gängigen Praxis wird die Tagung nicht mit der Ereignisgeschichte, sondern mit der Erinnerung an den weiblichen Widerstand beginnen. In den vormals von den „Achsenmächten“ besetzten Ländern wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst oft allgemeinen an Widerstand erinnert, nicht zuletzt, um das Selbstbild aufzuwerten und Kollaboration zu kaschieren. Aber galt dies auch für den Widerstand von Frauen? In dieser Sektion soll daher aufbereitet werden, welche Rolle Frauen für ihr Handeln gegen den Faschismus zugeschrieben bekamen. In den Vorträgen werden zum einen regionale Erinnerungskulturen, die Darstellungen in Filmen sowie die Präsenz in digitalen Medien thematisiert. Zum anderen soll auch das Gedenken an Ehefrauen im Widerstand aufgegriffen werden.
Sektion 2: Motive
In der zweiten Sektion wird der Frage nachgegangen, ob sich spezifisch weibliche Beweggründe herausstellen lassen, sich zu widersetzen. War der Widerstand religiös, humanistisch oder politisch motiviert, im Sinne einer kommunistischen, liberalen oder sozialistischen Weltanschauung? Fand Widerstand innerhalb von politischen Organisationen statt? Um dies zu erörtern, werden Vorträge zu Frauen des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes gegen den Nationalsozialismus geboten sowie zu der Frage, ob sich die Kategorien Widerstand und Opposition gegen das Regime voneinander abgrenzen lassen.
Sektion 3: Formen und Methoden
Leisteten Frauen auf eine spezifische Art Widerstand? Handelt es sich mehr um Sabotageaktionen oder um passiven beziehungsweise friedlichen Widerstand? Oder setzten sie gleich den Männern Waffen und andere Gewaltformen ein? Die Vorträge behandeln hierbei unter anderem den verbotenen Umgang mit „fremdvölkisch“ bezeichneten Bevölkerungsgruppen als Widerstand von deutschen sowie ausländische Mädchen und Frauen. Zudem werden Beispiele von literarischem und passivem Frauenwiderstand vorgestellt.
Sektion 4: Aktionsräume
Frauen hatten auch noch in den europäischen Ländern in der Zwischen- und erst recht in der Kriegszeit in vielen Punkten eine andere rechtliche und gesellschaftliche Stellung als Männer. Nicht nur im nationalsozialistischen Deutschland wurden ihnen geschlechterspezifische Aufgaben und Rollen zugeschrieben, auch in den westlichen Demokratien. In dieser Sektion soll daher herausgestellt werden, welche Aktionsmöglichkeiten sich hieraus für Frauen ergaben und wie diese Handlungsspielräume ausgefüllt wurden. Kann von männlichen und weiblichen Formen des Widerstands gesprochen werden?
Die Sektion wird sich zum einen den Aktionsmöglichkeiten von Frauen im mit dem nationalsozialistischen Deutschland verbündeten Bulgarien beschäftigen. Auch erfolgt die Präsentationen von Fallbeispielen weiblichen Widerstands in extrem begrenzenten Handlungsräumen wie in Auschwitz und zudem das Engagement von Jüdinnen und Christinnen bei der Rettung von Verfolgten.
Sektion 5: Vermittlung
In der letzten Sektion werden Methoden und Möglichkeiten der Vermittlung in verschiedenen Gedenkorten vorgestellt. Wir freuen uns sehr, dass die wichtige deutsche Mahn- und Gedenkstätte zu Frauen im Widerstand in Deutschland in Ravensbrück sowie die Gedenkstätte „Stille Helden“ über ihre Bildungsarbeit berichten. Zudem konnten wir auch im Ausland Einrichtungen gewinnen, ihre Vermittlungsansätze zu unserem Thema vorstellen, wie dem Archives de la Somme und dem Museo del Holocausto in Buenos Aires.